Für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Landesverband Berlin:
„Ein Leben ist immer ein Ganzes.“ Biographische Berichte und Erzählungen aus dem Leben von zehn Pädagoginnen und Pädagogen. (2011)
Über neun Jahrzehnte spannt sich der Bogen der Erinnerungen von zehn Pädagoginnen und Pädagogen. Sie erzählen von der eigenen Schulzeit, ihrem Berufsalltag und dem Ruhestand – und von den Auswirkungen der gesellschaftlichen Umbrüche auf ihr Leben.
“ (…) Ein anderes Erlebnis geschah seltsamerweise im selben Jahr und hängt auch wieder mit einer Backpfeife zusammen. Es war das Jahr 1938, der Tag nach der so genannten „Reichskristallnacht“. In Köpenick gab es eine Reihe jüdischer Geschäfte, und schräg gegenüber von unserer Schule befand sich eine Synagoge. Als ich morgens zur Schule kam, brannte die Synagoge, das heißt nur im Innenraum hatte man ein kleines Feuer gemacht. Weil ringsherum Wohnhäuser standen, konnte man nicht das ganze Gebäude abfackeln, wie es ja sonst üblich war. Wir sahen auch überall die beschmierten Schaufensterscheiben. Bis dahin wusste ich überhaupt nicht, was das alles bedeutete und was passierte, ich war acht Jahre alt. Natürlich war es für uns Kinder dann die Sensation, nach dem Unterricht erst mal da rüberzugehen. Das Feuer war zwar gelöscht, da standen überall Polizei und SA und bewachten das Gebäude, aber wir konnten reingucken. Es stank fürchterlich nach verbranntem Holz.
(…) Am Schlossplatz in Köpenick befand sich ein großes Kaufhaus, „Cohn“. Ich nehme an, dass es der Besitzer war, der dort an den Füßen über den Fußweg geschleift wurde, er blutete stark am Kopf. Für mich als Achtjährige war das etwas so Entsetzliches, dass ich zu einem SA-Mann rannte, weil für mich die Uniform Autorität bedeutete. Wer eine Uniform trug, gehörte für mich zur Polizei und bedeutete Schutz. Ich rüttelte ihn am Arm und sagte: „Das dürfen Sie nicht zulassen, Sie müssen doch was tun, was machen die mit dem Mann, so etwas darf man doch nicht machen!“ In dem Augenblick klatschte es wieder und er sagte: „Mach, dass du nach Hause kommst, du dumme Göre, verschwinde hier ganz schnell!“ Vielleicht … war das ein prägendes Erlebnis für meinen weiteren Lebensweg. Ich habe mich nämlich mein ganzes Leben lang für andere eingesetzt. (…)“
I. Schwarz
“ (…) Der Tag, an dem ich durch die Prüfung (die Zweite Staatsprüfung, Abschlussprüfung in der Ausbildung für das Lehramt, S. T.) fiel, war Freitag, der 13. Dezember. Mein Mann stand draußen vor der Schultür – es war damals noch nicht üblich, dass die Partner hereinkamen, um sich zu erkundigen, wie es gelaufen war. Es war sechs Uhr abends, da zwei Prüfungen am selben Tag gewesen waren, und ich sagte zu meinem Mann: „Jetzt höre ich mit dem Beruf auf, ich such mir was anderes.“ Darauf sagte er: „Das wirst du nicht. Du wirst es denen zeigen.“ Dann gingen wir in die Kneipe und tranken die ganze Nacht durch, einen Schnaps nach dem anderen! Am Samstag war Unterricht, wir hatten ja noch Sechs-Tage-Woche, und ich stand um acht Uhr wieder vor meiner Klasse und machte weiter. (…)“
E. Kujawa